Oder: Warum Tom ein Marketing-Genie war ...
- nacherzählt von Gudrun Anders
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Samstagmorgen
- die sommerliche Natur strahlt und Tom hatte ein fröhliches Lied auf den
Lippen. Tante Polli hatte ihn dazu verdonnert, den Zaun zu streichen. Tom ging mit
weißer Farbe und einem Pinsel auf und ab. Beim Anblick des Gartenzauns war
plötzlich alle Fröhlichkeit verschwunden. Seufzend strich er lustlos über die Latten.
Entmutigt von der Länge des Zauns betrachtete die schier endlos lange Fläche …
Singend kam
sein Kumpel Jim daher, der einen Blecheimer in der Hand hatte. Tom hasste das
Wasserholen eigentlich, doch heute hätte er lieber Wasser geholt als den Zaun
zu streichen, denn an der Pumpe war es immer lustig. Tom wollte für Jim das
Wasser holen, wenn dieser solange den Zaun streicht. Doch Jim verneinte. Erst
als Tom ihn mit einer Murmel lockt, willigte er beinahe ein. Toms ärgerte sich,
denn er hatte viele Pläne für diesen Samstag gehabt, und bald würden die
anderen Jungen ihn stattdessen arbeiten sehen. Er hatte schon ihr höhnisches
Gelächter im Ohr. Plötzlich hatte er eine fabelhafte Idee!
So strich er
seelenruhig den Zaun, als kurz darauf Ben Rogers erschien, vor dessen Spott er
sich am meisten fürchtete. Ben aß einen Apfel und machte einen
Mississippi-Dampfer nach. Tom strich den Zaun und tat so, als würde er das Spiel
nicht bemerken.
Ben hänselte
ihn, aber Tom gab keine Antwort. Stattdessen betrachtete er sein Werk, als wäre
es das größte Kunstwerk aller Zeiten und vertiefte sich scheinbar wieder in
sein Werk. Ben versuchte es noch einmal und fast erschrocken blickte Tom auf
und gab an, ihn fast nicht bemerkt zu haben.
Ben hänselte
Tom wieder, ob er nicht mit Schwimmen wollte, aber Tom stieg darauf gar nicht
ein und behauptete, er würde die Sache aus Spaß machen. Das wollte Ben ihm
zunächst nicht abkaufen, aber Tom blieb bei seinem Schauspiel. So selten hätte
man die Chance, einen ganzen Zaun alleine anstreichen zu dürfen, behauptete er
dreist. Und schon sah die Sache ganz anders aus.
Tom malte elegant
weiter, verbesserte hier und da eine Kleinigkeit, und Ben ließ ihn nicht aus
den Augen. Die Sache wurde immer interessanter für ihn und schließlich fragte
er, ob er auch einmal streichen dürfte. Aber Tom verneinte unter Hinweis auf
seine Tante, die es sauber und ordentlich haben wollte.
Ben
quengelte, dass er auch einmal streichen dürfte, aber Tom zierte sich. Erst als
Ben ihm den Apfel dafür anbot, gab Tom ihm widerstrebend den Pinsel. Innerlich aber
frohlockte er, ließ sich aber nichts anmerken. Der alte Dampfschiffer Ben
arbeitete dann hart in der Mittagssonne, während Tom im Schatten genüsslich den
Apfel aß.
Im Laufe des
Nachmittags kamen noch weitere Jungs vorbei, die Tom erst spotteten, um dann allerdings
selbst zu streichen. Am frühen Abend war Tom steinreich. Er hatte Schätze wie
eine tote Ratte, zwölf Murmeln, eine blaue Glasscherbe und vieles andere. Aber
das Wichtigste war: Die ganze Zeit über hatte er gemütlich im Schatten gesessen
und sich köstlich amüsiert. Eine dreifache Farbschicht zierte den Zaun. Wäre
die Farbe nicht ausgegangen, wäre Tom wahrscheinlich noch vermögender geworden.
Tom Sawyer hatte
entdeckt, dass man, wenn man eine Sache als unerreichbar hinstellt, andere dazu
bringt, sie haben bzw. tun zu wollen. Eine Arbeit ist eben nur dann lästig,
wenn man sie tun muss. Macht man sie freiwillig oder muss man etwas dafür
bezahlen – dann macht sie plötzlich Spaß.
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